Wie viele Geschlechter

Wie viele Geschlechter?

Aus Anlass der aktuellen Debatte (Juli 2022) um einen Vortrag an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), der zwei Geschlechter in der Biologie als aktuellen (Fach-)Stand sieht, seien hier einige Informations- und Diskussionsmaterialien zu und aus biologisch-medizinischer Sicht zusammengestellt. Veranlasst zu dieser Seite sehe ich mich als Mediatorin zwischen den Disziplinen, habilitiert als Kulturwissenschaftlerin an der HU Berlin (Geschichte der Lebenswissenschaften) mit Diplom in Biologie (Molekular-/Humanbiologie, Pharmakologie) und Promotion in Gesundheitswissenschaften („Genetisierung der Zeugung“, transcript 2001).

Kurzgefasst: Die Biologie spricht auf verschiedenen Ebenen des Körpers von Geschlecht, was die Lage, wie in allem was das Leben betrifft, sehr komplex macht. So gibt es demnach u.a. das chromosomale Geschlecht, das gonadale Geschlecht, das hormonale Geschlecht und (sehr umstritten) das Gehirngeschlecht, abgesehen von Geschlechtsidentität und von psychosozialen Faktoren für die sich die Biologie eher nicht zuständig sieht, die aber beispielsweise auf die hormonelle Situation rückwirken können. Zudem interagieren diese verschiedenen Beteiligten auf vielfältige und in verschiedenen Lebensphasen unterschiedliche Weise.

Es können Befunde über die Chromosomen mit dem Hormonstand oder den Gonaden oder letztere miteinander im Widerspruch stehen, was nicht allzu selten passiert. Darum scheint es vielen in Übereinstimmung mit der natürlichen Realität zu sein, sich von der Vorstellung von zwei strikt verschiedenen Geschlechtern zu verabschieden. 

Autor*innen aus Biologie und Medizin:

Anne Fausto-Sterling, „Gefangene des Geschlechts? Was biologische Theorien über Mann und Frau sagen“ 

Anne Fausto-Sterling, „Sexing the Body – Gender Politics and the Construction of Sexuality“ (inkl. historische Aspekte, 20. Jahrhundert)

Olaf Hiort, „Gibt es mehr als zwei Geschlechter?“ in Spektrum.de 

Sabine zur Nieden, Die weibliche Ejakulation 
(entgegen des Titels geht es auch um die wechselvolle Geschichte des medizinischen Geschlechts grundsätzlich)

Siehe auch diesen Beitrag der populärwissenschaftlichen Sendung Quarks:

Junge oder Mädchen? Warum es mehr als zwei Geschlechter gibt

Meine eigenen Arbeiten zum biologischen Geschlecht liegen zeitlich etwas zurück. Seither haben sich die Darstellungen von Geschlecht in Biologie und Medizin international eher erweitert und geöffnet. 

Siehe zum Themenfeld: 

Bettina Bock von Wülfingen, „Geschlechtskörper hormonell stabilisiert oder flexibilisiert? (Das Lesbenhormon)“ in: Bath, Corinna et. al. (Hg.) Materialität denken – Studien zur technologischen Verkörperung. Bielefeld: transcript 2005, S. 85-116. doi.org/10.14361/9783839403365-004

Bettina Bock von Wülfingen, „Diverse Biologien – schwindende Geschlechter?“, in: Greif, Elisabeth (Hg.) Körper que(e)r denken. Linz: Trauna 2006, S. 59-92.

Bettina Bock von Wülfingen, „Exkurs: Von Kopf bis Fuß auf Hormone eingestellt“, Kap. 2 aus dem Buch Verhüten – überflüssig. Medizin und Fortpflanzungskontrolle am Beispiel Norplant, Talheimer Verlag 2001, S. 30-43.